Kindergärten – wie alles begann

Porzellan am Stand Auer Dult München Namenstassen 70iger Jahre
Porzellanstand in Nürnberg Hauptmarkt Ingrid und Andrea Ackermann 90iger Jahre

München – die Auer Dult und die Armen Schulschwestern aus der Au

Unser erster Kindergarten: Austattung mit Zwiebelmuster

Es begann damit, dass die rührige Kindergartenschwester der Armen Schulschwestern in der Au bei meiner Mutter vorsprach. Das war in München in den frühen 1970iger Jahren, während einer der drei Auer Dulten, die wir da jedes Jahr beschicken. Sie fragte am Stand bei meiner Mutter nach, ob es denn eine Möglichkeit gäbe, Porzellan mit Fehlern günstig für den Kindergarten zu bekommen. Sie meinte dabei aber nicht irgendein Porzellan. Auf Nachfrage kam heraus, dass sie gerne das „wunderschöne Zwiebelmuster“ gehabt hätte.

Dazu muss man wissen, dass wir zu dieser Zeit das Zwiebelmuster aus der Porzellanfabrik in  Tirschenreuth in zweiter Wahl verkauften – und es war ein echter Renner! Es hatte meine Mutter ein Jahr zähen Verhandelns gekostet, bis sie die zweite Wahl dieses Porzellans bekommen konnte. Tatsächlich hatten die zuständigen Herren Angst, dass der Ruf des Zwiebelmusters unter dem Marktverkauf leiden könnte. Erst der Hinweis, dass auch Winterling Zwiebelmuster – also das direkte Konkurrenzprodukt der Porzellanfirma Heinrich Winterling – auf Märkten verkauft wurde, brachte den Umschwung. Wir haben danach über Jahrzehnte richtig große Mengen an Zwiebelmuster-Porzellan verkauft –  am meisten wohl in Stuttgart auf dem Weihnachtsmarkt.

Zwiebelmuster: Was ist das und warum dieser Name?

Ziebelmuster war eine der ersten Geschirrserien, die Meißen aufgelegt hatte; sie wurde ab dem Jahr 1731 gefertigt. Damals gab es einen richtigen „Hype“ um weiß-blaues Porzellan aus China und August der Starke wollte da etwas Eigenes in diesem Stil in seiner neuen Porzellanmanufaktur anfertigen lassen. Der Dekor stellte aber keineswegs Zwiebeln dar, sondern ein Blumengesteck aus Chrysanthemen und Bambus in der Mitte mit stilsierten Pfirsichen und Melonen am Rand. Diese wurden als „Zwiebeln“ gesehen und gaben daher dem Zwiebelmuster im Volksmund seinen Namen. Es wurde mit der neu entwickelten blauen Kobaltfarbe auf das noch unglasierte Porzellan gemalt und dann erst glasiert. Das Zwiebelmuster, das wir verkauften, war natürlich nicht handgemalt, es wurden gedruckte Dekore verwendet. Trotzdem war es ein hochwertiges Geschirr, das bis in die 1990iger Jahre ein Hit war – auch wenn die Menschen sich die Service zum Teil über Jahre hin anschafften, weil sie sich ein ganzes Service auf einmal nicht leisten konnten.

 

Porzellan am Stand Auer Dult München Zwiebelmuster Tirschenreuth und Kobald Gold 80iger Jahre
Zwiebelmuster Schüssel Innenseite
Zwiebelmuster Schüssel Detail Außenseite

Für die Kinder nur das Beste, wenn auch in dritter Wahl

Allerdings war die zweite Wahl beim Ziebelmuster nicht nur Ware mit kleinen Fehlern, sondern es waren auch immer wieder schlechtere Stücke mit großen Fehlern dabei. Dieses Zwiebelmusterporzellan gaben wir bei Sonderverkäufen sehr billig ab, um es aus dem Lager zu bekommen.

Anlässlich eines solchen Abverkaufs kam die Schulschwester auf uns zu, die den Kindergarten leitete. Eine kleine zierliche Person mit dunklen Haaren, von denen gerne ein paar Strähnen aus der Haube rausrutschten. Nicht auf den Mund gefallen war sie außerdem und bei aller Freundlichkeit auch voller Durchsetzungsvermögen.

Mit meiner Mutter verband sie bald so etwas wie eine Freundschaft und die beiden konnten sich auch schon mal eine Stunde unterhalten, wenn sie zu unserem Porzellanstand kam – und das tat sie regelmäßig. Der Kindergarten lag ja auch gleich bei der Auer Dult, von unserem Stand fast nur durch die Straße davon getrennt, am Mariahilfplatz 14.

Ihre Anfrage nach günstigem Porzellan für den Kindergarten führte dazu, dass wir von nun an das neu gelieferte Zwiebelmuster anders sortierten:

Gute 2. Wahl, nicht ganz so gute 2. Wahl und „Kindergartengeschirr“. Das wurde gesammelt, zu den Auer Dulten nach München gebracht und gleich mal extra gestellt. Manchmal gab meine Mutter das Porzellan als Spende ab, ansonsten berechnete sie meist kaum mehr als nur den Einkaufspreis.

Eingang zu Schule und Kindergarten der Armen Schulschwestern in der Au Schutzmantelmadonna

Die Eingäng zu den Gebäuden der Armen Schulschwestern am Maria-Hilf-Platz in München

Eingang zu Schule und Kindergarten der Armen Schulschwestern in der Au

Die Eingäng zu den Gebäuden der Armen Schulschwestern am Maria-Hilf-Platz in München

Zerbrechliches in Kinderhänden und die Liebe zu schönen Dingen

Über viele Jahre kamen daher die Kindergartenkinder der Armen Schulschwestern öfter mal am Stand vorbei. Manchmal sangen sie ein kleines Ständchen, manchmal gab es auch nur eine gemeinsam gerufenes Dankeschön – wenn es mal wieder eine „Schenkung“ an Tellern oder Tassen für den Kindergarten gegeben hatte – oder auch nur ein fröhliches Winken der Kinderschar, wenn sie über die Dult zum Rummel ausgeführt wurden.

Warum hatte es denn gleich das Zwiebelmusterporzellan für einen Kindergarten sein sollte, das hat meine Mutter am Anfang schon interessiert. Weil es halt so schön ist, hat die Schwester gemeint und weil die Kinder mit etwas Schönem den Umgang mit Zerbrechlichem viel besser lernen. Schön und zerbrechlich, das fordert die Kinder damit, sorgfältig mit den Tellern und Tassen umzugehen. Vorsichtiger Umgang, wie hier mit dem Porzellan, das ist immer ein erster Schritt in Richtung Wertschätzung, der sich auch auf andere Dinge überträgt. Die Kinder durften den Tisch mit dem Porzellan zum Teil auch selbst decken und abräumen – was natürlich nicht ohne Bruch gehen konnte. Die Schwester meinte aber, die würden das so behutsam machen und auch „wilde“ Kinder wären da mit großer Aufmerksamkeit beim Umgang mit „ihrem Porzellan“ dabei, dass es auf jeden Fall einen positiven Einfluss auf sie hätte.

Und auch die Kinder freuten sich sichtlich an den Nachlieferungen, die sie mit abholen durften. „Weil des gschauggt so schee aus, wenn des stecht.“ Das meinte eine kleines Mädchen, die ganz stolz eine Tasche mit neuen, zwar ziemlich krummen, aber wunderbar weiß-blauen Zwiebelmustertassen in den Kindergarten tragen durfte. Als fränkische Schwäbin schaute meine Mutter da etwas irritiert, bis ihr klar wurde das da nicht stechen, sondern bairisch „stehen“ gemeint war.

Kein Happy End für Tirschenreuth – das Ende der Porzellanfabrik

Nach langen Jahren unter der neuen Leitung wurde das Zwiebelmustergeschirr wieder abgeschafft beziehungsweise nicht mehr weiter ergänzt. Wir bekamen aber noch jahrelang zur Münchener Kirchweihdult die „Ausgezogenen“ oder „Knieküchle“, frisch gebacken von der Schwester im Ruhestand an den Dultstand gebracht – und einen Raatsch gab auch oft dazu.

Die Porzellanfabrik in Tirschenreuth, bei der wir jahrzehntelang weißes Geschirr und Zwiebelmusterporzellan gekauft hatten, wurde übrigens bereits 2002 endgültig geschlossen.